Welche Lebenslüge lebst du?

Ich bin die zweite Generation die nach dem zweiten Weltkrieg entstanden ist. Das heißt meine Eltern sind die direkten Nachkommen aus dieser Zeit. Ich weiß nicht was meine Großeltern erlebt haben, wie sie den Krieg überlebt haben und wie es ihnen dabei ging. Wie diese mit meinen Eltern umgegangen sind?

Das, wovon immer und immer wieder berichtet wird ist das Schweigen der Menschen, die den Krieg überlebt haben. Aufgrund der Traumatisierungen die sich zu ihrem Inneren Zutritt verschafft haben. Es ist da. Es ist spürbar. Fühlbar, aber es ist nicht möglich es in Worte zu verwandeln, denn dann bricht alles zusammen. Traumaenergien sind überwältigend, massiv, zerstörend. Du fühlst dich ihnen vollkommen ausgeliefert, diesen Gefühlen die du einst verdrängen musstest um funktionieren oder sagen wir überleben zu können. Sie mussten damals weg aber sie sind immer noch in dir gespeichert.

Es geht hier um grausame Erlebnisse wie Menschen beim Sterben zuzusehen ohne etwas tun oder helfen zu können. Massenhinrichtungen, sexueller Missbrauch oder jede Form massiver Gewalt die wir uns nicht im Ansatz vorstellen können. Direkt hier. Vor deinen Augen und du kannst nichts tun. Dein Körper bebt vor Angst und du weißt nicht wann und ob du der oder die Nächste sein wirst. Kannst du dich in solch eine Situation hineinversetzen?

Nur weil wir nicht darüber sprechen oder die Opfer sowie Täter nicht darüber sprechen konnten, ist dieses Trauma nicht weg. Es lebt weiter, immer weiter und weiter in Form von Schlägen, emotionaler/ physischer Gewalt, Unterdrückung, sexuellem Missbrauch.

Meist sprechen wir nicht darüber, wenn uns die Hand bei unseren Kindern „ausrutscht oder wir sie erziehen/sanktionieren/ ihnen die Liebe entziehen von der sie abhängig sind.“ Es ist ein Tabuthemen, das sich in unsere Köpfe frisst „Ein du hast versagt, du hattest dich nicht unter Kontrolle“ oder sogar die Abschiebung der eigenen Verantwortung auf das eigene Kind „ wenn du dich nicht so verhalten hättest, hätte ich dies oder jenes nicht tun müssen.“ Ja im Kopf eines Erwachsenen, klingt diese Schlussfolgerung logisch aber dein Kind ist niemals Schuld an deiner mangelnden Selbstregulation. Manchmal ist das Verhalten auch gepaart mit einer massiven Scham aufgrund derer wir ebenfalls nicht über das erlebte sprechen können. Dann fangen wir an es zu verleugnen, zu schweigen und letzten Endes zu wiederholen.

Und nun kommen all die Entwicklungstraumata ins Spiel. Ein Trauma ist nicht nur zurück zu führen auf ein einschränkendes Ereignis das uns in einen Zustand massiver Lebensgefahr bringt und unser Körper in einen Schock verfällt, dadurch unser Nervensystem in einen vollkommen Ausnahmezustand gerät in dem es das erlebte nicht mehr verarbeiten kann sondern es sind die vielen, feinen, kleine Momente in denen wir nicht achtsam sind. Dadurch, dass wir Kinder schreien lassen, demütigt, herabsetzt, ihnen Schmerz zufügen, Hilfe verweigern, weil uns das Mitgefühl und Vertrauen fehlt. Können wir davon ausgehen, dass wir ebenfalls so behandelt wurden. Wir erlebten eine Situation des vollkommenen ausgeliefert sein, indem unser Körper mit dem aufstauendem Stress nicht mehr zurecht kam und uns Methoden oder Handlungsalternativen fehlten. „Wie, wie soll ein Baby sich selbst beruhigen wenn dies aufgrund seiner Hirnstruktur noch überhaupt nicht möglich ist?“ Dann dissoziieren wir. Geben auf. Sind Geschlagen. Das war’s, wir sind emotional Game over.

Also ich frage mal anders, liebst du dich? Liebst du dein Leben? Kannst du dich annehmen? Wertschätzen? Magst du deinen Körper? Fühlst du, dass du eine Bereicherung für die Welt bist? Hat dein Leben einen höheren Sinn? Wenn ja wundervoll. Dann frage ich dich wie sich das ausdrückt? Wie viel Verständnis hast du mit dir selbst? Mit deinen Mitmenschen? Wie gehst du mit ihnen um? Kannst du dich in sie einfühlen? Oder was macht das mit dir?

Viele Menschen erzeugen sich ihr eigenes Leid und wissen es nicht einmal. So wie ich es eine lange Zeit selbst getan habe und manchmal immer noch tue. Das liegt an den tief in uns verborgenen Glaubenssätzen. Glaubenssätze sind Aussagen, Dinge von denen wir überzeugt sind, dass sie stimmen und wir sie aufgrund von immer wiederkehrenden Erfahrungen aufrecht erhalten wie „ich bin nicht liebenswert! Mich mag niemand! Ich bin dumm! Ich bin anstrengend! Ich muss mich schützen, deshalb etwas verbergen und darf nicht sein wie ich bin weil ich sonst sanktioniert oder verlassen werde.“ Das sind Schlussfolgerungen aus der Interaktion mit unseren Bezugspersonen und unserer Prägung aus der Zeit von damals.

Aber das gehört doch der Vergangenheit an und nun bin ich erwachsen. Kannst du es nicht gut sein lassen, Isi.

Nö, weil du das nicht einfach abstreifen kannst. Das ist das was tief in dir innen drin lebt und du alles was damals passiert ist fast täglich reinszenierst. Du führst einen Krieg im Außen welchen du einst in dir verloren hast. Deine Wut richtet sich gegen Menschen die nichts dafür können weil deine Wahrnehmung und deine Interpretation des wahrgenommen für dich eine andere Bedeutung haben, aufgrund deiner einst erlebten Erfahrungen.

Deshalb finde ich dieses Wissen von massivem Wert um die nächste Generation zu schützen oder zu beschützen. Nicht vor der Welt, nicht vor anderen Menschen sondern vor mir und meinen Überzeugungen wie die Welt ist oder wie sie zu sein hat. Je mehr ich als Kind einem Leid ausgesetzt war, das unter dem Deckmantel der Tabuuisierung geführt wurde, nicht darüber sprechen zu dürfen „weil man das nicht macht“ und wir uns daran hielten um unsere Eltern zu schützen, eine gute Tochter oder ein guter Sohn zu sein, umso mehr haben wir dabei einen Verrat an uns selbst begangen. Das was wir dabei taten, ist unseren Schmerz zu verleugnen, runter zu schlucken und das was uns passiert ist, als nicht so schlimm oder als vergeben ab zu tun.

Viele von uns haben nur überlebt weil sie dissoziiert haben und dadurch den Zugang zwischen sich und ihren Gefühlen gekappt/ zerstört haben. Dann laufen wir herum wie Zombies und fühlen weder unser Leid, noch das Leid der Anderen und schlimmer das Leid welches wir selbst verursachen.

Nicht nur unsere Dissoziation macht uns das Leben schwer sondern auch alle Schutzstrategien und Überlebensmechanismen die wir uns angeeignet haben z.B. Sätze wie „ das ist mir egal und übe dann eine passive Aggression aus oder das macht mir überhaupt nichts aus. Ich schaffe alles alleine. Ich brauche keine Freunde, ich vertraue absolut niemandem mehr, ich muss leisten um eine Lebensberechtigung zu haben. Entwürdigungen. Herabsetzungen. Machtausübung. Eine mir ist alles egal Einstellung oder auch Glaubenssätze „stell dich nicht so an, das Leben ist nun einmal kein Ponyhof, du musst dich anpassen, unterordnen, bist ausgeliefert usw.“

Ja der Rucksack unsere Vergangenheit ist groß und wir tragen schwer. Schwer an all den Erlebnissen die nie aufgearbeitet werden konnten und die mit einer massiven Ladung in unserem Körper abgespeichert sind. Sie sind gewaltig und oft nicht ohne Hilfe von Therapeuten zu bearbeiten. Meist fehlt uns dafür der Zugang , weil die Übergriffe in den ersten Jahren vor unsere Sprache passiert sind und nur über körperorientierte Arbeit ein Zugang hergestellt werden kann. Diese massive Gewalt, an dir oder an einem anderen Mensch, hat nun einen Namen, „Entwicklungstraumata“.

Deshalb schäme dich nicht. Es hat seinen Grund warum du bist wie du bist, warum du fühlst wie du fühlst und weshalb du tust was du tust. Dennoch es gibt Rettung. Sei es dir selbst Wert, denn das Leben wartet nicht und täglich vergehen wundervolle Stunden die du anders nutzen könntest, wenn du den Mut hast aus deinem Leben etwas wundervolles entstehen zu lassen. Schau hin, fühl hin, du bist nicht allein.

Letzten Endes kommt es darauf an ob du wahrhaftig gelebt hast. Mit allen Hochs und Tiefs die das Leben zu bieten hat. Dein Leben, nicht das Leben eines anderen welches du unbewusst immer noch mit dir herumträgst. Mach dich frei aus all den Verstrickungen von all den Generationen von damals. Werde dir über dich selbst bewusst, lege ab was nicht zu dir gehört und nehme an was dein authentisches du annehmen möchte. Du hast absolut nichts zu verlieren sondern nur zu gewinnen.

3 Kommentare zu „Welche Lebenslüge lebst du?

    1. Hallo Sven,

      ja Alice Miller kenne ich und habe auch zwei Bücher von ihr in meinem Regal stehen. Eine sehr kritische und reflektierte Frau.
      Ich danke dir für deine wohlwollenden Worte und dass ich es doch schaffe, dem ein oder anderen mit meinen Texten zu erfreuen.
      Ich glaube, wenn du an der Schwelle stehst zwischen erneut psychisch krank zu werden oder den Mut aufzubringen die Wahrheit zu suchen. Ist der Sog ins Licht, in die Freiheit, in dein wahrhaftiges Selbst größer als sich selbst aufzugeben. Nenne wir es auch Glück, Resilienz, Neugierde, ein Beschützer? Ich weiß es nicht. Ich spüre einfach nur ein Glück darin, dass all die Jahre, denen ich dem Schmerz ausgesetzt war nicht für umsonst waren sondern ich, das sagte mal eine Therapeutin zu mir „ mich dem Druck des Lebens ausgesetzt habe um meinen Diamanten im Inneren heranwachsen und schleifen zu lassen“. Das Leben ist nichts als die Annahme dessen was gerade ist. Der Kampf beginnt dann wenn ich etwas nicht haben will, etwas nicht sein soll oder etwas unbedingt haben möchte. Dann flog mir damals alles um die Ohren. Heute schaffe ich es immer mehr aus diesem Strudel auszusteigen und mich einzufühlen was sich hinter diesem Sog wahrhaftig verbirgt was ich gerade nicht fühlen will. Wissen ja wissen ist super, es hilft uns achtsam zu werden aber die Umsetzungen, das eintauchen in die Welt der Gefühle, das aushalten, das loslassen fordert Mut und das immer und immer wieder. Ich würde sagen, hier gibt es nur ein ganz oder gar nicht. Ein schwarz oder weiß aber ich versuche es mal und kucke ob es mir gefällt oder welchen nutzen ich daraus ziehen ist zum scheitern verurteilt. Dennoch alles ist ein Prozess und der Wandel findet statt. Hier, jetzt, gerade und immer mehr Menschen werden darauf aufmerksam und reagieren. Zwar noch zu wenige aber das wird sich auch noch ändern. Ich glaube daran, an uns, an die Menschen, an die Verbundenheit und an diese wundervolle Welt.

      Ich wünsche dir alles Liebe

      Gefällt 1 Person

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