Warum ich keine Angst mehr davor habe zu sterben.

Der Tod war bei uns in meiner Familie ein ständiger Begleiter. Als ich noch sehr klein war verlor meine Mutter innerhalb kürzester Zeit, ihre Mutter, ihre „halb“ Schwester und ihren Schwager. Einige Jahre später konnten Ärzte , durch Zufall, bei meinem kleinen Bruder einen Herzfehler feststellen, weshalb er von heut auf morgen plötzlich im Krankenhaus lag und ich zu Tante und Oma abgeschoben wurde. Ich mochte meine Tante und liebe meine Oma und es war schwer für meinen Bruder und schwer für meine Eltern. Sehr schwer. Meine Mutter hatte die Angewohnheit ihre Ängste mit allen möglichen Menschen zu teilen, „was ist wenn er stirbt, was ist wenn etwas schief geht.“ hörte ich sie sagen. Meine Eltern hatten weder das Bewusstsein noch die Energie sich um mich zu kümmern. „Wird schon alles gut gehen“ waren Sätze, welche ich von Seiten meiner Oma und Tante mitgeteilt bekommen habe. Trotzdem schaffte ich es nicht diese mit den Gefühlen meiner Mutter, die aus Angst, Hilflosigkeit und Ohnmacht bestanden irgendwie miteinander zu kombinieren. Wenn doch alles gut geht, wieso verhält sich meine Mutter dann so? Sie waren viele Tage (für mich fühlte es sich an wie Wochen) kaum zuhause. Alles musste weiter funktionieren und ich konnte und wollte ihnen nicht auch noch zur Last fallen. Ich kann mich an eine Situation erinnern als mein Bruder kurz vor der OP stand. Bereits einen Katheter an sich trug und kreidebleich war. Dieses Bild geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich war allein, mutterseelenallein. Das vergisst man manchmal wenn Familien ein Schicksal ereilt, dass es nicht nur die Eltern trifft sondern auch alle die drumherum sind und besonders die Geschwister, die einfach vergessen werden. Es verlief alles gut und mein Bruder kam gesund wieder nach Hause und wir begrüßten ihn mit einem kleinen Fest. So nun war alles wieder wie früher und das Leben ging seinen gewohnten Gang. Nur für mich war die Welt ab diesem Zeitpunkt nicht mehr dieselbe, sie war nicht mehr unbeschwert sondern trüb und grau geworden. Irgendwie hatte ich meine Hoffnung/Vertrauen vollkommen verloren. Ich bekam Schlafstörungen und traute mich abends nicht mehr einzuschlafen, da ich Angst hatte einfach zu sterben und nicht mehr aufzuwachen. Das ist das Denken eines Kindes, wenn es sich nicht mit Erwachsenen austauschen kann. Ich lag im Bett und weinte, bis ich irgendwann vor Erschöpfung einschlief.

Der Tod war für mich immer irgendwie präsent aber darüber sprechen konnte ich mit niemandem. Mit wem hätte ich darüber sprechen sollen? Es folgte der Tod meines Opas, den wir über ein halbes Jahr zuhause gepflegt hatten und der plötzlich nicht mehr da war und einige Jahre später der unerwartete Tod einer sehr guten Bekannten.

Vielleicht denken ein paar von euch ja das passiert, so ist das Leben und Tod gehören zusammen aber für mich als Kind war es unendlich schrecklich. Ich kapselte mich trotz meiner ganzen Problemen noch mehr von meinen Eltern ab. Wollte alles alleine lösen, war unendlich überfordert, flog oft auf die Schnauze und meine Selbstwirksamkeit war dahin. Ich fühlte mich dem Leben einfach nur ausgeliefert. Ich dachte viel über meinen Tod nach, wie einsam ich doch bin und wer zu meiner Beerdigung kommen wird und ….mir viel niemand ein außer vielleicht meine Eltern. Dieses Bewusstsein traf mich so richtig ins Herz. Ich hatte niemanden und war überzeugt, dass mich auch niemand vermissen würde. Es war jeder so mit sich selbst beschäftigt, dass ich als Kind total vergessen wurde. Ich war da als Körper aber als Mensch mit all meinen Wünschen und Träumen, meinen Ängsten, meiner Ohnmacht, meiner Trauer und Hilflosigkeit, meiner Schuld und Scham so zu empfinden wie ich es tat, daran hatte niemand Interesse.

Und jetzt… was hat sich denn nun verändert, dass ich den Tod als meinen Freund sehen kann.

ICH habe mich verändert, indem ich mich wieder finden konnte. Es gibt so einen schönen Spruch der lautet „lebst du dein Leben oder lebt das Leben dich“, so lange ich vor mir selbst weg lief, kompensierte, nie Verantwortung für mich und mein Verhalten übernahm wurde alles immer noch schlimmer. Ich war das arme Opfer, das niemand verstand. Mit dem niemand etwas zu tun haben wollte. Ich lief Menschen hinter her die mich nicht haben wollten und wollte die, die an mir und meiner Person Interesse zeigten, nicht haben. Das ist das Muster, das ich aus meinem Elternhaus kannte und welches sich für mich „als normalen Umgang“ anfühlte. Ich war dem Funktionsmodus verfallen, ging weiter zur Schule und tat so, wie wenn mir das alles gar nichts ausmachen würde. (Schutzmechanismus) Ich fühlte mich als Versagerin und hatte immense Angst, mit jemandem zu sprechen…. was der Andere über mich denken könnte. So blieb alles in meinem Kopf und das war mein Leben. Ständig zu schauen, wo welche Gefahren im Außen auf mich lauern könnten und diese ständige abwertende Haltung die ich mir selbst gegenüber Einnahme. Ich hatte mich selbst vollkommen verlassen. Mein Körper war eine einzige Hülle.

Ja und dann… fing ich an in der Psychiatrie zu arbeiten. Mit Klienten die alle kein selbstständiges Leben mehr führen konnte und deren Psyche so immense Schäden, aufgrund ihrer Kindheit (auch Drogen/Alkohol) davon trugen, dass ich nur noch Ehrfurcht und Dankbarkeit für mein Leben empfand. Ich begegnete Kindern, die im Körper eines erwachsenen Menschen steckten, die sich so sehr nach Liebe und Anerkennung sehnten, nach gesehen und gehört werden, nach Bestätigung aus waren, dass sie gute Menschen sind. Die aufgrund eines Wortes in ihre Wut verfielen und die manchmal nicht mal merkten, wenn die brennende Zigarette, die sie vergessen hatten aus zu drücken, sich in die Haut zwischen ihren Fingern brannte oder sie sich so ritzten, dass der Krankenwagen alarmiert werden musste, um die Wunde zu versorgen.

Ja, das ist die Arbeit die Menschen anderen Menschen, (benennen wir es genauer Eltern ihren Kindern) antun können oder sagen wir so, dass passiert wenn traumatische Erlebnisse nicht aufgearbeitet werden und weshalb es mir so am Herzen liegt, dass jeder Menschen für das was er denkt, fühlt und handelt die Verantwortung übernimmt. Ich habe diese Menschen mit einer psychischen Erkrankung, sehr in mein Herz geschlossen und genau deshalb, werde ich für sie kämpfen und auch berichten, um psychische Erkrankungen evtl. Vermeiden zu können und ein Bild dafür zu schaffen warum und wie sie überhaupt entstehen. Körperliche Erkrankungen sind offensichtlich und erfahren deshalb Aufmerksamkeit und eine darauf angestimmte Behandlung. Aber eine psychische Erkrankung, die man nicht sehen kann wird tabuisiert, geleugnet und versucht zu verbergen, weil die Scham dahinter und in der Person selbst, so unheimlich groß ist, dass es niemand wissen darf.

So, dass war nun einer der ersten Schritte, ich erlebte Dankbarkeit, dass ich doch noch einigermaßen gesund bin und über mein Leben selbst bestimmen kann und die Motivation, das was ich meinen Klienten empfahl, selbst anzugehen und das war die Auseinandersetzung mit meiner Mutter, vor der ich so große Angst hatte. Was mir half, waren unsere Kinder, die ebenfalls zu diesem Zeitpunkt in unser Leben traten. Die mir beibrachten, was es bedeutet ab sofort sein Herz, außerhalb des eigenen Körpers zu tragen und bedingungslose Liebe zu empfinden. Dass es einen Unterschied gibt zwischen „ich hab dich lieb“ oder „ ich liebe dich“.

Sie halfen mir über mich selbst hinaus zu wachsen. Ständig, wenn ich dachte, boah, das schaffe ich nicht mehr mit meinen Söhnen, brach ein Teil meiner alten Persönlichkeit von dem, was ich glaubte zu sein oder von dem ich dachte, er wäre wichtig für mich, weg. Durch die Kinder, indem ich sie begleitet habe, ihren Schmerz sah und dadurch dieser in mir sichtbar wurde, konnte ich das betrauern was ich so sehr gebraucht und es mir niemand geben konnte. Ich hatte so unglaubliche Sehnsucht nach der Liebe meiner Mutter, die sie mir einfach nicht schenken konnte, nach Verständnis, die sie mir hätten gegenüber aufbringen müssen, dass ich nicht ihren Vorstellungen entsprach. Nach der Bereitschaft mich verstehen und kennen lernen zu wollen und mir das Vertrauen zu geben, dass wir in dieser Welt so unheimlich benötigen. Eine wahrhaftige Entschuldigung, für die körperlichen Angriffe, die Angst und Ohnmacht die ein Kind dabei fühlt, wenn es angegriffen, gedemütigt und verletzt wird. Es braucht Zeit, alles braucht seine Zeit, weil alles ein Prozess ist. Lange Zeit hatte ich solch einen Hass gegenüber diesem System, gegenüber dieser Familie, der mich zerfraß. Ich hatte nicht verstanden warum mir das alles widerfahren ist, warum ich diese Schmerzen durchleben musste. Warum ich so sehr für mich und mein Leben hatte kämpfen müssen.

Es ist ganz einfach, weil ich erst verstehen kann, wie es sich anfühlt, wenn ich einmal auf der anderen Seite gelebt habe. Wenn ich die Erfahrung machen musste so richtig am Boden zu liegen und aus eigener Kraft immer wieder auf zu stehen. Um Empathie entwickeln zu können für die Schmerzen die mir angetan wurden. Weil ich begriffen habe, dass ich das Leben, das ich heute habe selbst erzeugt habe. Ich bin die Schöpferin meines Lebens und wenn ich ehrlich bin , manipulierte ich mich ständig selbst und glaubte kein bisschen an mich, übernahm keinerlei Verantwortung und stand nie für mich ein, gab anderen die Schuld für mein empfinden. Wenn ich aber nun den Mut habe mich auf meinen Weg zu mir selbst zu machen wird aus Ohnmacht, Frieden aus Angst, Hoffnung und aus Hass, Liebe, dann werde ich nicht mehr geliebt, weil ich etwas bestimmtes tue, sage, oder erreiche sondern weil ich begreife, dass dieses Leben einen höheren Sinn hat und ich einfach nur geliebt werde für das was ich bin. Ein Mensch nicht mehr und nicht weniger. Weil das Leben uns geschenkt wird und wir uns gegenseitig, bereichern und Erfüllung bringen können. Weil ich dich aus der Verantwortung entlasse mich glücklich machen zu müssen und ich nun Werkzeuge in mir habe, die mir all das schenken können, was ich für mein Glück und meine Freiheit brauche. Nein das alles kommt nicht einfach so, nur weil du gerade mal Lust darauf hast sondern weil es eine bewusste Entscheidung ist, diesen Weg zu fühlen, dann zu sehen und irgendwann den Mut aufzubringen ihn gehen zu WOLLEN. Glücklich sein ist ein Prozess der Hingabe, unbeschreiblichen Mut, Opfer ( weil ich für die Liebe zu mir selbst den Kontakt zu meiner Familie und besonders zu meiner Mutter abbrechen musste) und Liebe für dich und für deine Familie erfordert. Es liegt alleine in deiner Hand, was du aus deiner Vergangenheit mitnehmen willst und wie du es für dich transformieren kannst. Dann sind Gefühle nicht mehr gefährlich sondern Begleiter, die mir meinen Weg zeigen können, der mich immer mehr und tiefer zu mir selbst führen wird. Sowie die Bereicherung die uns das Leben mit unseren zwei wundervollen Söhnen beschert, die uns jeden Tag zeigen, dass das Leben eine wahrhaftige Freude sein kann.

Um nun zum Anfang zurück kommen zu können, will ich sagen, dass ich ab jetzt jederzeit bereit bin zu sterben. Natürlich freue ich mich über viele, viele Tage, Monate und Jahre die noch kommen werden. Aber mein Körper, mein Geist und meine Seele sind nun im Einklang und ich fühle diese Lebendigkeit, Freiheit, Glück, Liebe und Dankbarkeit wie noch nie zuvor in meinem ganzen Leben. Dadurch habe ich die Angst vor dem Tod verloren, weil ich fühlen darf, was das wahrhaftige Leben eigentlich ist. Ja, dafür musste ich viele Male emotional sterben und einen langen harten Weg auf mich nehmen um wiedergeborene zu werden, damit diese höhere und wundervolle Macht, durch die ich auf diese Welt gekommen bin, durch mich wirken kann und wir zusammen kleine Wunder vollbringen können. Ich sehe nichts mehr als selbstverständlich sondern alles, was zu uns findet, ist für mich ein wahrhaftiges Geschenk und deshalb danke ich dir, dass ich auf dich wirken darf, weil du dich von mir und meinen Worten inspirieren lässt und sie dadurch vielleicht auch in deiner Familie Wunder bewirken können. Ich danke dir wirklich aus tiefstem ♥️.

4 Kommentare zu „Warum ich keine Angst mehr davor habe zu sterben.

  1. Wow! Ich habe als Kind ähnlich Erfahrungen gemacht und auch sehr lange gebraucht, um zu mir selbst zu finden. So wie du deinen Weg beschreibst, gibt es anderen
    Mensch Mut oder zumindest die Bestätigung, dass man mit seinen Erfahrungen nicht alleine ist.

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    1. Danke für deine Worte 🙏 ja, ich glaube es geht sehr vielen Menschen so und das ist richtig schlimm, weil es statt Verbundenheit,immer mehr Einsamkeit produziert.
      Deine Worte erfreuen mich und geben mir noch mehr das Gefühl, dass dieser Blog seinen Sinn hat 🙏

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